Wer reitet, begegnet ihr früher oder später: der Versammlung.
Einfach gesagt, ist ein Pferd dann versammelt, wenn es die Hinterhand mit stärker angewinkelten Gelenken weiter unter den Schwerpunkt setzen kann, sich dennoch leichtfüßig und energisch bewegt und sich selbst ausbalancieren kann, woraus eine erhabenere Selbsthaltung entwickelt wird.
Anders ausgedrückt bedeutet das: Ein versammeltes Pferd beugt seine Hanken, die großen Gelenke der Hinterhand – Hüfte, Knie und Sprunggelenke – und winkelt sie stärker an. Es kippt dafür seine Hüfte ab, die Hinterbeine kommen stärker unter dem Schwerpunkt. Da das Pferd sich hinten setzt und Gewicht mit der Hinterhand aufnimmt, richtet es sich vorn mehr auf. Widerrist und Brustkorb kommen etwas höher, der Hals richtet sich auf, das Genick wölbt sich. Das spürt man als Reiter, als würde das Pferd vor einem etwas wachsen.
Ein versammeltes Pferd befindet sich im absoluten Gleichgewicht und in Selbsthaltung.
Auch die Bewegungsqualität verändert sich, sie wird schwebender, erhabener und freier – das Pferd büßt Raumgriff ein und die Bewegungsenergie geht nach oben – bestes Beispiel hierfür ist die Piaffe, der Trab auf der Stelle.
Übrigens: Versammlung ist nicht nur eine körperliche Angelegenheit, sondern auch eine mentale. Das Pferd muss also nicht nur entspannt sein, sondern vor allem bei der Sache und bereit, auf die Hilfen des Reiters sofort und in alle Richtungen zu reagieren. Wenn ein Pferd zum Beispiel darauf vorbereitet ist, sowohl zu stoppen als auch anzugaloppieren, ist es mental versammelt. Das wirkt sich auf den Körper aus, der dann für den Reiter verfügbarer wird.
Echte Versammlung erkennen
Echte Versammlung ist das Ergebnis einer langsamen und sorgfältigen Ausbildung. Sie hat nichts damit zu tun, den Kopf des Pferdes in die Senkrechte zu ziehen und ordentlich mit den Beinen zu treiben, damit es nicht stehen bleibt. Kopf- und Halshaltung ergeben sich vielmehr von selbst aus dem korrekten Einsatz des Pferdekörpers. Wird der Rücken dagegen festgehalten oder hängt er durch, ist Versammlung nicht möglich. Pferde, die sich hinter dem Zügel verkriechen oder einrollen, können sich zwar ebenfalls aufrichten – absolut statt echt – sind dann aber nicht mehr vor den treibenden Hilfen. Die Bewegung ist damit nicht mehr korrekt und die Versammlung nicht real.
Echte und falsche Versammlung lassen sich im Grunde sehr einfach unterscheiden: Echte Versammlung macht ein Pferd schön. Sie lässt es strahlen, stolz und erhaben wirken. Falsche, erzwungene Versammlung entlarvt sich selbst als genau das, was sie ist – man muss den Pferden nur ins Gesicht sehen.
Versammlung beim Reiten – wie und warum?
Die Voraussetzungen von Versammlung sind viele weitere Bausteine wie Takt, Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung und Geraderichtung. Schub- und Tragkraft entwickeln sich, Aufrichtung und Selbsthaltung entstehen. Entsprechend braucht ein versammeltes Pferd keinen Zügel und keine Reiterhand als Stütze. Es ist gerade gerichtet, bewegt sich fließend, an den Hilfen und im Takt.
Pferde sind nicht zum Reiten gemacht – ihr Rücken spannt wie eine Hängebrücke zwischen Vorhand und Hinterhand. Wir setzen uns als Reiter damit auf eine eigentlich instabile Struktur und die gilt es, durch Versammlung zu stärken. So versetzen wir das Pferd in die Lage, unser Gewicht tragen zu können und gesund zu bleiben.
Dein Pferd versammeln: die besten Übungen
Versammlung erreitest du dir mit allen Übungen, die dein Pferd dazu veranlassen, mehr Last mit der Hinterhand aufzunehmen. Insgesamt wird dein Pferd kürzer und komprimiert sich unter dir.
- Ein Schlüssel hierfür sind Übergänge. Bei einem Übergang nach unten hast du das Gefühl, dass sich dein Pferd mehr setzt, bei einem Übergang nach oben wird der Rücken runder und es hebt dich an.
- Reite Trab-Schritt-Trab-Übergänge und bleibe in der jeweiligen Gangart für nur wenige Schritte. Baue Trab-Halt-Trab-Übergänge ein und lasse dein Pferd hin und wieder vor dem Antraben ein paar Schritte rückwärts treten. Du kannst den Schwierigkeitsgrad erhöhen, indem du die Übergänge auf dem Kreisbogen reitest.
- Auch Biegungen wie Volten und Schlangenlinien verlangen vom Pferd, mehr Last mit dem inneren Hinterbein aufzunehmen, um auf der Linie und im Gleichgewicht zu bleiben. Verkleinere einen Zirkel im Trab und im Galopp und lege beim Vergrößern etwas zu.
- Eine gute Übung sind darüber hinaus Tempounterschiede innerhalb einer Gangart. Auch sie regen die Hinterhand zu mehr Aktivität an.
- Seitengänge wie Schulterherein und Kruppeherein stärken ebenfalls das jeweils innere Hinterbein und machen die äußere Schulter frei – auch sie sind optimal, um an der Versammlung zu puzzeln. Das geht übrigens auch toll in der Boden- und Handarbeit.
Achte beim Reiten darauf, dass das Genick der höchste Punkt bleibt, dein Pferd mit der Nase vor kann und sich nicht einrollt. Fange mit kurzen Wiederholungen an, arbeite nicht zu lange und baue Pausen ein – Versammlung ist sehr anstrengend für dein Pferd. Lass‘ es deswegen auch immer wieder frisch voran gehen und sich strecken. Denke auch daran, die Hand zu wechseln und auf beiden Seiten gleichmäßig zu arbeiten. So kannst du Schritt für Schritt Versammlung entwickeln und dein Pferd systematisch stärken.
Blog-Beitrag von Nadja Müller